Menschlicher Fortschritt – Der Kongress
Unsere Positiv Psychologische Vortragsreihe in Hamburg wurde fulminant von Philip Streit eröffnet. In seinem Vortrag zeigte er auf, dass es um die Welt weit weniger schlecht bestellt ist, als es uns die Medien und auch populistische Parteien weltweit glauben machen wollen. In praktisch sämtlichen objektiv messbaren Bereichen wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Verbreitung von Demokratie und Frauenwahlrecht, etc. können wir global starke Verbesserungen verzeichnen. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass psychische Krankheiten, vor allem Depressionen und Angststörungen unverändert verbreitet sind, bzw. sich vor allem in den westlichen Ländern im Aufwind befinden. Um dem entgegentreten zu können, müssen wir als Gesellschaft wieder zu mehr kooperativem Handeln und weniger Konkurrenzdenken finden, Sicherheit (Save Harbours) für Menschen schaffen und ihnen zeigen, dass Sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben.
Roy Baumeister griff erneut das Thema Zukunftsgedanken auf, das er einführend bereits 2016 in den Fokus stellte. Seine aktuellen Experimente und Studien zum Thema zeigen, dass Menschen drei Mal so häufig an die Zukunft denken, als an die Vergangenheit, sich gedanklich die meiste Zeit jedoch in der Gegenwart befinden. Betrachtet man, welche Emotionen Menschen mit den verschiedenen gedanklichen Zeitzonen verbinden, zeigt sich, dass die Gegenwart am glücklichsten empfunden wird, dass die Zukunft jedoch mit mehr Bedeutsamkeit besetzt ist. Gedanken zu Vergangenheit wurden dafür im Vergleich als sehr wenig aufregend empfunden. Insgesamt werden mehr negative Emotionen empfunden, je weiter sich die Gedanken von der Gegenwart entfernen.
Die Biologin Renée Schröder plädierte, frei nach Hans Rosling, für mehr Waschmaschinen für Frauen. Dahinter steht, dass Frauen mit mehr (Frei-)Zeit, mehr Gelegenheiten haben, sich zu bilden. Dies wiederum hat den positiven Effekt, dass die Geburtenraten auf ein für den Planeten und die Gesellschaft gesundes Maß zurückgehen (im Schnitt 1,5 Kinder pro Frau), da sich zeigt, dass Bildung der effektivste Weg ist, Geburtenraten zu senken. Das steigende Bildungsniveau von Frauen trägt außerdem dazu bei, dass wir Menschen unsere Umwelt und sogar uns selbst immer besser adaptieren können. So wurde die sogenannte Genomeditierung von zwei Wissenschaftlerinnen entwickelt, die es ermöglichte, Bakterien mit einem adaptiven Immunsystem auszustatten und diese so um ein vielfaches widerstandsfähiger zu machen.
Im Anschluss zeigte der Zukunftsforscher Reinhold Popp den Weg in die neue Arbeitswelt anhand von 10 Thesen über die Zukunft. 1. Wachse unser Zeitwohlstand, das bedeutet, dass immer weniger Lebenszeit als Arbeitszeit genutzt werden muss. 2. Berufe bleiben trotzdem langfristig wichtig, sie werden sich jedoch verändern (Flexibilisierung, Automatisierung, etc.). 3. Die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelt wird noch mehr Einfluss auf unser tägliches Leben nehmen. 4. Nachdem sich Menschen gerne oft nur langsam verändern, kommt es mehr zu einer digitalen Evolution als zur digitalen Revolution. 5. Roboter sind und bleiben Werkzeuge. Statt Menschen Arbeitsplätze wegzunehmen, werden sie uns vielmehr lästige Arbeiten abnehmen. Es kommt zu einem Umbau, nicht zu einem Abbau des Arbeitsmarktes. 6. Transhumanismus bezeichnet die (künstliche) Veränderung des Menschen durch leistungsfördernde, optimierende Maßnahmen wie Implantaten, leistungsfördernden Psychopharmaka, etc. 7. Künstliche Intelligenz werde menschliche Intelligenz noch lange nicht überholen – Wer dies behauptet, habe ein naives Intelligenzverständnis. 8. Digitalisierung ist nur eine von vielen Herausforderungen der Arbeitswelt. Weitere Themen sind Flexicurity (ein Kompromiss zwischen Flexibilität und Sicherheit) und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 9. Nachhaltigkeit werde immer wichtiger. Ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Zielsetzungen müssen gleichrangig angestrebt werden. 10. Wissensintensive Berufe werden die dominante Sparte der Arbeitswelt werden.
Steve Cole, seines Zeichens Humanbiologe, zeigte auf, wie sich psychosoziale Aspekte auf die Menschliche Biologie und Gesundheit auswirken können. Wie sich zum Beispiel zeigt, führt soziale Isoliertheit zur Ausbildung von Entzündungsherden und damit zu einer Vielzahl potentiell chronischer und sogar tödlicher Krankheiten. Eudaimonisches (EW) und hedonisches (HW) Wohlbefinden scheinen sich beide positiv auf die aktuelle (psychische) Befindlichkeit auszuwirken, während nur EW positive auf die Genexpression eines Menschen hat und HW sich sogar negativ auf diese auswirken kann.
Roland Wolfig sprach darüber, wie wir Arbeit so gestalten können, dass wir sie mehr genießen. Momentan leben wir in einer VUCA Welt (volatile, uncertain, complex, ambigue) und das führt dazu, dass sich nur 15% der Angestellten wirklich gerne mit ihrem Beruf beschäftigen. Möglichkeiten, dies zu ändern, seien die Selbstbestimmtheit (Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit) von Menschen zu fördern, sowie Flow-Zustände zu ermögliche, also das Aufgehen einer Person in ihrer Arbeit. Zusätzlich sollten die Agile Values eingeführt werden: Fokus, Respekt, Courage, Offenheit und Engagement. Schaffen können dies Organisationen, in dem sie zunächst einmal bedeutungsvolle Gespräche über Arbeit im allgemeinen geführt werden. Als nächstes sollten eine Kultur der Persönlichkeitsentwicklung eingeführt, ein unterstützendes Klima und integrierende Praktiken eingeführt werden. Zusätzlich sollte jede Person in der Organisation eine Leitbild von alledem darstellen.
Die Frage, ob eine Positive Ökonomie möglich sei, wurde von Kim Cameron bearbeitet. Das Modell des Positive Leadership, das auf positive Praktiken anstatt auf Problemfokussierung, positive Chancen statt Negativität und offene und ehrliche Kommunikation setzt, scheint genau dies zu schaffen. Zahlreiche Unternehmen und Organisationen wie beispielsweise Krankenhäuser konnten nach Übernahme der Grundprinzipien des Positive Leadership große Effizienzsteigerungen verzeichnen und darüber hinaus die MitarbeiterInnenzufriedenheit steigern. Die Erfolge des Modells konnten nicht nur im amerikanischen Raum, sondern weltweit verzeichnet werden.
Rene Goehler plädierte als Mittel, um mit den weiter steigenden Problemen wie (Existenz)Angst und Depression fertig zu werden, für mehr Nachhhaltigkeit. Nachhaltigkeit wiederum brauche Entschleunigung und Entschleunigung ein, wie sie es nennt, Grundauskommen. Damit meint sie bedingungslose 1.500€ pro Monat für jeden erwachsenen Menschen. Nachdem in Deutschland pro Kopf jährlich über 12.000€ für Sozialleistungen ausgegeben werden, wäre dies ein weit effizienterer Weg, den Menschen zu helfen, sie zu entlasten, ihnen mehr Entfaltungszeit zu geben und so vielen (psychischen und auch familiären) Problemen entgegen zu treten. Dies würde den Menschen ein „Können und Wollen statt Müssen und Sollen“ ermöglichen.
Wie wichtig positive Beziehungen und warum diese unsere Zukunft sind, erklärte Stefanie Ahrens. Auf ihrem Werdegang zur Positiven Psychologin wendete sie die Positive Psychologie zuerst nur bei Paartherapien an, inzwischen tut sie das aber bei Beziehungen jeglicher Art. Positive Beziehungen wirken sich nämlich auf alle unsere Lebensbereiche aus. Sie führen zu positiven Gefühlen, diese zu Wohlbefinden, dieses zu weniger psychischen Krankheiten, das zu mehr Leistung, diese zu mehr Wachstum und Zufriedenheit, das schafft weniger Druck und weniger Stress, was sich wiederum positiv auf die Gesundheit auswirkt und das alles zusammen ergibt Erfülltheit. Oft stehen uns jedoch unrealistische Erwartungen an andere im Weg, um das vorhandene Positive in der Beziehung zu sehen. Um dies zu verhindern, müssen wir den anderen hören und auf ihn eingehen, da jeder Mensch seine eigene Realität besitzt und dies kommuniziert werden muss.
Der Sozialforscher Bernhard Heinzelmaier sprach über die verschiedenen Milieus, in die sich die heutige Jugend aufteilt. Wie sich zeigt, ist sie eine durchaus heterogene Gruppe, weshalb es notwendig ist, sich verschiedene Strategien für die verschiedenen Gruppen zu überlegen, um sie gut in die Zukunft zu führen. Wie sich ebenfalls zeigt, suchen Jugendliche nach mehr Halt, als dies noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Insgesamt stieg der Anteil der Haltsuchenden in den letzten 5 Jahren von knapp über 50% auf 60% an, bei jungen Menschen unter 30 sogar auf 75%. Sie reagieren deshalb mit einer Wiederentdeckung alter, traditioneller Werte und Einstellungen. Unzufriedenheit schafft auch vermehrter Internet- bzw. Social Media Gebrauch. „Digitale Individualisten“ wollen gesehen werden und vergleichen sich mit den unrealistisch hoch gestapelten Dartstellungen in den digitalen Medien. Digitale Menschen sind außerdem „spontan und unverbindlich“. Die Vergangenheit verliert an Bedeutung, nur die Zukunft zählt. Diese zu planen wäre aber bereits zu viel Festlegung, deshalb soll sie nur erlebt werden.
Die Autorin Betty Sue Flowers beschwor die Macht der Geschichtserzählung für die Kreierung der zukünftigen Gesellschaft. Die Geschichten, die wir dabei erzählen über die Zukunft erzählen, beeinflussen maßgeblich die aktuelle Gegenwart. Die Entwicklung von Szenarios sollte dabei immer beinhalten, was passieren kann, nicht nur was passieren wird oder soll.
Martin Seligman bildete das Finale in Hamburg und erzählte von seinem Weg von einem Erforscher der Hilflosigkeit zu einem Erforscher der Hoffnung und Positivität. Inzwischen ist er der Ansicht, dass der Mensch unter den richtigen Gegebenheiten ein Lebewesen der Positivität ist, dass Wohlbefinden unser Ziel sein sollte, dass wir die Vergangenheit metabolisieren und damit unsere Zukunft formen und dass Schulen und Organisationen und nicht (psychiatrische) Kliniken in unserem Fokus liegen sollten. Stattdessen wird der Mensch dazu übergehen, seine Zukunft zu gestalten und (psychisches) Wohlbefinden in den Fokus zu stellen.